„Unter Infrastruktur allgemein wird die Gesamtheit der materiellen Einrichtungen und der Ausstattung einer Region verstanden, die Grundlage für menschliche Daseinsfunktionen (Wohnen, Arbeiten, Erholen etc.) und öffentlichen Daseinsvorsorge sind. Infrastruktur ist abhängig von der historisch gewachsenen Entwicklung sowie den jeweils vorherrschenden sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen, ethischen Wertvorstellungen und Fördermodalitäten“, erklärt Gerold Wucherpfennig. Zu dem komplexen Thema hat er einen Überblick zusammengestellt, der sowohl landeskundliche und historische als auch wirtschaftliche Aspekte beinhaltet.
1. Vorwort
Das Thema dieses Beitrags „Verkehrsinfrastruktur im Eichsfeld – einst und jetzt“ ist wahrlich sehr umfassend, das aufgrund seiner Vielfalt, Komplexität und der großen zeitlichen Dimension nur sehr kompakt und verallgemeinert dargestellt werden kann.
Nach Sichtung insbesondere unserer Eichsfeldischen Bibliographie von Dr. Günther Wiegand gibt es unter dem Themenindex „Verkehrswesen“ eine sehr umfangreiche Literatur zu einzelnen Straßenverbindungen und Eisenbahnstrecken. (1) Über die Verkehrsinfrastruktur als ganzheitliche Betrachtung der verschiedenen Verkehrsarten, ihrer Verkehrswege und Netzstrukturen gibt es demgegenüber nach meinen Recherchen allerdings keine oder kaum Untersuchungen, Beiträge, Dissertationen oder sonstige Werke.
Albert Herbst, der über „Die alten Heer- und Handelsstraßen Südhannovers und angrenzender Gebiete“ an der Universität Göttingen promovierte, schrieb im Vorwort seiner Dissertation Folgendes (Anmerkung: Er befasste sich allerdings nur mit den alten Heer- und Handelsstraßen!):
„Wenn man die historischen und landeskundlichen Bibliographien nach Literatur über das alte Verkehrswesen durchforscht, wird man bald enttäuscht erkennen, wie wenige gründliche und wissenschaftlich brauchbare Werke darüber vorhanden sind ….
Wohl fehlte es nicht an Versuchen, die alten Straßen, namentlich des Mittelalters, zu rekonstruieren, doch die meisten sind über die ersten Anfänge nicht hinausgekommen, weil sie sich auf unzulängliches Material stützten oder falsche Methoden anwandten.“(2)
Wie dem auch sei, nachfolgend wird der Versuch eines Überblicks über die „Verkehrsinfrastruktur im Eichfeld – einst und jetzt“ unternommen.
Die Verkehrsarten Schifffahrt und Luftfahrt werden dabei nicht berücksichtigt, zumal im Eichsfeld hierfür die erforderlichen Standortvoraussetzungen wie Fließgewässergröße oder Siedlungsdichte nicht in dem erforderlichen Maß vorhanden sind.
2. Definition Verkehrsinfrastruktur
„Unter Infrastruktur allgemein wird die Gesamtheit der materiellen Einrichtungen und der Ausstattung einer Region verstanden, die Grundlage für menschliche Daseinsfunktionen (Wohnen, Arbeiten, Erholen etc.) und öffentlichen Daseinsvorsorge sind.“3 Infrastruktur ist abhängig von der historisch gewachsenen Entwicklung sowie den jeweils vorherrschenden sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen, ethischen Wertvorstellungen und Fördermodalitäten.
Die Verkehrsinfrastruktur ist ein Teilbereich der Infrastruktur. Sie umfasst im Wesentlichen die öffentlichen Verkehrswege für den Schienen-, Straßen-, Luft- sowie Schiffsverkehr und ist ein zentraler wirtschaftlicher Standortfaktor für die Entwicklung einer Region. Gründe für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sind:
die Vergrößerung der Aktionsradien von Menschen, Gewerbe, Handel und Industrie
die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen sowie
die Verbesserung der Marktzugangs-, Produktions- und Investitionsbedingungen.
Ziel ist es folglich, durch den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur die sozioökonomischen Standortqualitäten und die Wettbewerbsfähigkeit einer Region zu verbessern.
Nachweislich löst die Verkehrsinfrastruktur bei guter Ausstattung erhebliche Raumstruktur- und Siedlungseffekte aus. So weist Steen eine Abnahme der Bevölkerungszahlen mit zunehmender Entfernung vom Schienennetz nach. (4) Zierer belegt zudem in seiner empirischen Untersuchung, dass der Ausbau des Verkehrsinfrastruktursystems ein nachhaltiges Instrumentarium ist, ein gesamtwirtschaftliches Wachstum zu erzielen. Auch kann er nachweisen, dass das Verkehrssystem einen signifikant positiven Einfluss auf das regionale Lohnsummenwachstum hat. Das Fazit lautet stark verkürzt: Je dichter das Verkehrsnetz und besser ausgebaut die Verkehrsinfrastruktur, desto höher der Entwicklungsstand und das Wohlstandsniveau eines Raumes. (5)
3. Landeskundliche Betrachtung des Eichsfelds
Das Eichsfeld ist ein ländlich geprägter Raum in der geographischen Mitte Deutschlands mit einer vielfältigen, überwiegend naturnahen Kulturlandschaft, die sowohl planare und colline als auch submontane Höhenlagen aufweist. Drei von sieben – je nach angewendetem wissenschaftlichem Messverfahren – ermittelten geographischen Mittelpunkten Deutschlands befinden sich im Eichsfeld. Konkret handelt es sich hierbei um Flinsberg, Krebeck und Silberhausen.
Zudem bildet das Eichsfeld das Drei-Länder-Eck von Thüringen, Niedersachsen und Hessen. So befinden sich Eichsfelder Gebietsteile administrativ betrachtet in drei Bundesländern und in fünf Landkreisen (Eichsfeld, Göttingen, Northeim, Unstrut-Hainich und Werra-Meißner). Bis zum 19. Jahrhundert allerdings war die Region über viele Jahrhunderte als Exklave des Kurfürstentums Mainz verwaltungsmäßig vereint; im Königreich Preußen von 1802 bis 1806 sogar als Fürstentum Eichsfeld.

Das Eichsfeld, was kein eigenes Oberzentrum hat, befindet sich im Verflechtungsbereich der Oberzentren Göttingen, Kassel und Erfurt. Obwohl mehr als drei Viertel des Eichsfelds sich in Thüringen befinden und daher zwangsläufig eine gewisse administrative Abhängigkeit zum Freistaat und zur Landeshauptstadt Erfurt gegeben ist, gibt es demgegenüber vornehmlich intensive Verkehrsbeziehungen zum Oberzentrum Göttingen aufgrund der räumlichen Nähe. Diese sind primär geprägt durch tägliches Berufspendeln und sekundär auch durch das Freizeitverhalten.

Mittelzentren zur Deckung des täglichen und gehobenen Bedarfs sind im Eichsfeld (in alphabetischer Reihenfolge) die Städte Duderstadt, Heilbad Heiligenstadt und Leinefelde-Worbis.

Mit einer Fläche von 1.296 km² und einer Einwohnerzahl von ca. 150.000 hat das Eichsfeld eine Bevölkerungsdichte von 115 Einwohnern/km².
Raumordnerisch bzw. landesplanerisch ist es somit eindeutig der Kategorie „Ländlicher Raum“ zuzuordnen. (8)
Umschlossen wir die Region Eichsfeld
– im Norden durch den Harz
– im Osten durch die Bleicheröder Berge bzw. Hainleite
– im Süden durch den Hainich und das Thüringer Becken sowie
– im Westen durch das Leinebergland und das Nordhessische Bergland.
4. Genese der Verkehrsinfrastruktur im Eichsfeld
4.1. Frühgeschichte (ab ca. 4000 – 1000 v. Chr.)
Vor etwa 5000 – 6000 Jahren, dem sogenannten Neolithikum (Jungsteinzeit), vollzog sich ein gravierender Wandel in der Lebensweise der Menschen. Der Mensch beendete sein Nomadentum bzw. sein bis zu diesem Zeitpunkt ausschließliches Jäger- und Sammlerdasein, wurde sesshaft und gründete Siedlungen. Zwischen diesen Siedlungen entstanden die ersten Wegeverbindungen. In den Anfängen waren es „Trampelpfade“ bzw. Erd- oder „Naturstraßen“, auf denen sich der Mensch zu Fuß oder auf Pferden fortbewegen konnte. Befestigte Straßen oder Fahrbahndecken existierten noch nicht. Erst mit der Erfindung des Rades vor etwa 4000 Jahren v. Chr., das den Bau von Transportwagen ermöglichte sowie den überörtlichen Handel entscheidend erleichterte und ausdehnte, wurde der Bedarf nach befestigten Straßen zunehmend größer. Die ersten befestigten Straßen soll es nach bisheriger Kenntnis in der ersten Hochkultur der Menschheitsgeschichte im Zweistromland Mesopotamien, dem heutigen Irak, im 4. Jahrhundert v. Chr. gegeben haben. (9)
Im Eichsfeld, wie auch im gesamten Mitteleuropa, gibt es aus der Epoche der Ur- und Frühgeschichte keine überlieferten Verkehrsverbindungen, zumal diese lediglich aus Trampelpfaden bzw. Erdwegen bestanden haben müssen. Aufgrund dieser naturbelassenen Ausstattung der Wegeverbindungen sind diese auch archäologisch kaum nachzuweisen.
4.2. Antike (ca. von 1000 v. Chr. bis 500 n. Chr.)
Der systematische Bau von Straßen in Europa geht auf das Römische Reich (ca. von 300 v. Chr. bis 500 n. Chr.) zurück, der vornehmlich aus militärischen und strategischen Gründen erfolgte.(10) Durch die Erweiterung des Römischen Reiches und der Fortentwicklung der Straßenbautechnologie wurde das Straßennetz zunehmend größer und nachhaltiger. Neben Pflasterungen kam beim Bau der Römerstraßen bereits die antike Form des Betons zum Einsatz.
Ein Fixpunkt für eine Römerstraße, die auch da Eichsfeld durchquerte, soll das Römerlager bei Hedemünden an der Werra (bis 7 n. Chr.) gewesen sein. In einer Urkunde aus dem Jahr 1451 wird die Römerstraße zwischen der westfälischen Bucht und dem Thüringer Becken als „via regia dicta hersewech“ bezeichnet. (vgl. Aus den Niederlanden kommend soll der Wegeverlauf über Lippstadt und Warburg führend, eine Werrafurt bei Hedemünden kreuzend und dann über Heiligenstadt und Niederorschel bis zur Saale bei Merseburg gegangen sein.(11)

4.3. Mittelalter (ca. von 500 bis 1400)
Im fünften Jahrhundert n. Chr. mit dem Niedergang des Römischen Reiches und dem beginnenden Mittelalter (ca. 500 n. Chr.) verfiel mangels Unterhaltung auch das weiträumige, vergleichsweise homogene römische Straßennetz. Als Gründe hierfür werden die Zersplitterung des Römischen Reiches in zahlreiche Kleinstaaten und damit der Verlust an zentraler administrativer Steuerung der Straßenunterhaltung genannt.
Während die Wegeführungen teilweise bis heute überdauerten, wurden aus dem ehemals befestigten, teils gepflasterten „Römerstraßen“ häufig unbefestigte Wege, was schließlich auch zum Verlust des Wissens eines geordneten Straßenbaus bzw. dessen Technik führte.(13)
Demgegenüber ist heute der Wissensstand über die Verkehrsinfrastruktur des Mittelalters – dank der sogenannten „Altstraßenforschung“ – größer als der über die Vorzeit. Es handelt sich hierbei um einen interdisziplinären Forschungsbereich, der vornehmlich von Historikern, Archäologen und Geographen bearbeitet wird.
Differenziert werden die sogenannten „Altstraßen“ des Mittelalters in „Hohe Straßen“, „Heerstraßen“ und „Königsstraßen“. „Hohe Straßen“ waren meist auf Wasserscheiden verlaufende Haupthandelswege abseits von Siedlungen.
„Heerstraßen“ wurden zwar auch – wie es der Name bereits vermuten lässt – vom Heer, also militärisch sowie für den Transport von Waren bzw. Gütern und somit für den Handel genutzt; allerdings auch von großen Heerscharen.
„Königsstraßen“ waren dem König zugeordnete Haupthandelsstraßen, die unter dessen besonderen Schutz standen.(14)
Bei dem zuvor genannten Straßentypen handelt es sich nach dem heutigen Verständnis nicht um eine einzelne, baulich eindeutig fixierte Wegeführung, sondern vielmehr um ein Bündel aus parallel verlaufenden Routen.(15)
„Was den Aufbau und die Ausstattung der alten Heer- und Handelsstraßen betrifft, handelte es sich um ,Naturwege’ die unter Anpassung an die Oberflächengestaltung und die Beschaffenheit des Bodens aus dem natürlichen Verkehrsbedürfnis der Menschen heraus als Völkerstraßen, Kriegspfade und Handelswege durch häufiges Begehen und durch Wegräumung der gröbsten Hindernisse allmählich entstanden und mit fortschreitender Kultur und Intensität des Verkehrs weiter ausgebaut sind.“ (16)
Bis zum 15. Jahrhundert – quasi zum Ende des Mittelalters – hatte das Eichsfeld aufgrund seiner topographisch verkehrsgünstigen Lage im Gegensatz zum Harz und Thüringer Wald eine gewisse Blütezeit von Handel, Handwerk und Landwirtschaft. Bedeutende Heer- und Handelsstraßen durchquerten das Eichsfeld sowohl in Nord-Süd-Richtung als auch in Ost-West-Richtung. In Nord-Süd-Richtung verlief die „Thüringer“ oder Nürnberger Heerstraße, die als „via regia“ über Duderstadt, Braunschweig, Lüneburg, Hamburg und Lübeck ihre Fortsetzung fand.(17)
Im Eichsfeld verlief diese in ihrem Hauptzweig nach Süden auf der „Hohen Straße“ über die Wehnder Warte (1423), Tastungen, Worbis, Kirchworbis, Gernrode, Niederorschel, Rüdigershagen, über den Dünpass (480 m üNN) nach Hüpstedt und Eigenröder Warte sowie schließlich Mühlhausen. Eine ebenfalls viel genutzte Route in Richtung Süden verlief von Duderstadt und Worbis aus über Leinefelde, Kallmerode, den Dün, Dingelstädt, Lengefelder Warte nach Mühlhausen und Erfurt. Vom Trassenverlauf ist diese Route noch weitgehend identisch mit der heutigen Bundesstraße 247. Eine zweite Heer- bzw. Geleitstraße im Eichsfeld von den Hansestädten im Norden kommend führte von Duderstadt nach Heiligenstadt über Tiftlingerode, Neuendorf, Reinholterode und dann nach Mühlhausen und Erfurt. (18)
Wirtschaftliche Strukturveränderungen führten zu einem Verfall der norddeutschen Hanse und zu einer wachsenden Bedeutung der Städte Frankfurt und Leipzig. Hiermit einhergehend verlagerte sich der nord-südliche Handelsverkehr weiter nach Westen ins Leinetal bei Göttingen. Das Eichsfeld geriet dadurch in eine verkehrsmäßig abseitige Lage, was wirtschaftlich negative Folgen auslöste 2002. (19)
4.4. Neuzeit (ca. von 1400 bis 1990)
Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es zu Neuentwicklungen im Straßenbau in Deutschland. Es entstanden neue Landstraßen aus Schotter. Sie bestanden zwar aus losen Gesteinskörnungen ohne Bindemittel in der Deckschicht, dennoch handelte es sich um mehrere Schotterschichten (nach oben zunehmend feinkörniger), die bei Zugabe von Wasser durch Walzen verdichtet wurden und dadurch einen relativ stabilen Untergrund boten. Noch heute kommt diese Technik vornehmlich beim Bau von land- und forstwirtschaftlichen Wegen als sogenannte „Wassergebundene Decke“ zum Einsatz.
So – quasi als „Wassergebundene Decken“ – müssen auch die Straßen des Eichsfelds bis weit in das 18. Jahrhundert ausgesehen haben. Es gab keine Mittel zum Bau von sogenannten „Kunststraßen“ oder „Chausseen“. Die Wegeverbesserung wurde durch Frondienste bewerkstelligt. Erst im Jahr 1790 wurde eine besondere Kasse für den Bau von „Kunststraßen“ oder „Chausseen“ eingerichtet, die aus Steuereinnahmen resultierte. Zudem wurden von den Fuhrwerksbesitzern für die Benutzung der Straßen Wegezölle zur Finanzierung des Baus und der Unterhaltung dieser erhoben.
Das französische Wort „Chaussee“ wurde anfänglich weniger verwendet im Gegensatz zum Begriff „Kunststraße“. Nach der Besetzung Deutschlands durch Napoleon von 1805 bis 1813 etablierte sich das Wort „Chaussee“ auch im Deutschen. Charakteristisch für die „Chausseen“ bzw. deren Ausstattungsmerkmale waren eine möglichst geradlinige Straßenführung, gewölbte Straßendämme mit beidseitigen Entwässerungsgräben, gepflasterter Straßenbelag, straßenbegleitende Alleen als Sonnenschutz, parallel verlaufenden unbefestigte Sommerwege sowie Wegezeichen zur Entfernungsbestimmung und Richtungsanzeige.(20)
Im 19. Jahrhundert löste die Industrialisierung ein starkes Wachstum der Verkehrsnetze in Deutschland aus. 1826 wurde die erste große Verbindungsstraße durch das Eichsfeld fertiggestellt, die Teil der „Großen Rheinstraße“ war. Sie verlief von Berlin kommend über Leinefelde, Heiligenstadt und Kassel bis nach Köln. 1834 wurde die zweite wichtige Verkehrsachse als Chaussee von Mühlhausen über Dingelstädt, Worbis, Duderstadt, Katlenburg nach Northeim (heutige B 247) abgeschlossen. Ebenfalls zum überregionalen Straßennetz gehörte in diesem Zeitraum die zur Chaussee erhobene und entsprechend ausgebaute Verbindung von Heiligenstadt nach Göttingen. Dieses überregionale Straßennetz blieb in den Grundzügen bis 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Eichsfeld erhalten. (21)
Gleichwohl konnte das Eichsfeld von diesem „Straßenbau-Boom“ vergleichsweise wenig profitieren. Vielmehr geriet es in eine räumliche Randlage. Maßgeblich war weniger die colline bis submontäne Topographie des Eichsfelds, sondern vielmehr die zunehmende Bedeutung der westlich im Bereich Göttingen verlaufenden Nord-Süd-Verkehrsachse. Mitverantwortlich für diese Entwicklung war schließlich auch die administrative Teilung des Eichsfelds. Das nördliche Eichsfeld gehörte zum Königreich Hannover, das mittlere und südliche zum Königreich Preußen. Hiermit verbunden waren unterschiedliche Verkehrspolitiken und Prioritäten.(22)
Diese Politik wurde auch durch den Bau des Eisenbahnnetzes dokumentiert. 1854, 19 Jahre nach dem Bau der ersten Eisenbahnverbindung von Nürnberg nach Fürth, wurde zunächst eine Nord-Süd-Strecke über Northeim und Göttingen eröffnet, ohne allerdings das Eichsfeld zu tangieren, geschweige zu erschließen. Für das zu Preußen gehörende mittlere und südliche Eichsfeld sah die Situation deutlich besser aus. Als erste Eisenbahnstrecke konnte am 9. Juli 1867 das Teilstück Arenshausen – Heiligenstadt – Leinefelde – Nordhausen in der Relation zwischen Kassel und Halle in Betrieb genommen werden. Weitere Eisenbahnverbindungen folgten in kurzen Abständen und bildeten bis 1945 im Eichsfeld ein relativ dichtes Eisenbahnnetz (vgl. Schienennetz 1925).

Doch dieser Sachverhalt änderte sich spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 abrupt.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Entwicklung des Eisenbahn-Streckennetzes mit den Darstellungen der Jahre 1925, 1950 und 1990.



War die verkehrsinfrastrukturelle Entwicklung im Eichsfeld bereits durch die teilungsbedingten Folgen im Rahmen des Wiener Kongresses 1815 (Teilung des Eichsfelds und Zugehörigkeit zum Königreich Preußen bzw. Königreich Hannover) und daraus bedingter unterschiedlicher Verkehrspolitiken inhomogen, führte die Teilung Deutschlands 1945 und anschließend die Errichtung der hermetisch abgeriegelten innerdeutschen Grenze zum völligen Stillstand des Ausbaus der Verkehrsnetze im westlichen und östlichen Teil des Eichsfelds.
Mit Ausnahme des 1973 geschaffenen Grenzübergangs Duderstadt – Worbis zwischen Teistungen und Gerblingerode endeten alle Verbindungen zwischen Niedersachsen und Thüringen bzw. dem Bezirk Erfurt schließlich an der damaligen undurchlässigen innerdeutschen Grenze und damit in der „Sackgasse“.

4.5. Gegenwart (ab 1990 bis heute)
Ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte war zweifelsfrei der 9. November 1989. Innerhalb weniger Wochen wurden Grenzübergänge jeweils mit großen Volksfesten hergestellt. Die nachfolgende Abbildung (Folie) stellt die zeitliche Abfolge der Grenzöffnungen dar.

Unmittelbar danach war die Wiederherstellung und Sanierung der ehemals an der früheren innerdeutschen Grenze endenden Verkehrswege vorrangige Arbeitsschwerpunkte.

Es ging jedoch nicht nur um die Wiederherstellung und Sanierung vorhandener Straßenverbindungen. Bereits 1990 wurde ein altes Verkehrsprojekt aus der Vorkriegszeit mit der Autobahn Göttingen – Halle (damals Südharzautobahn genannt, Anfang der 90er Jahre bezeichnet als Verkehrsprojekt der deutschen Einheit Nr. 13, heute BAB 38) als Neubaumaßnahme wieder „ins Leben gerufen“ und danach die Planungsphase zügig eingeleitet.
Bedingt durch das zur Anwendung gekommene Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz konnte die BAB 38 im Eichsfeld bereits 2009 vollständig fertig gestellt werden. Seitdem durchquert sie das Eichsfeld auf der Höhe von Heilbad Heiligenstadt und Leinefelde-Worbis quasi von Kirchgandern im Westen bis Bernterode im Osten.

Sowohl an der westlichen Eichsfeldgrenze als auch an der östlichen gibt es mit dem Heidkopftunnel und dem Höllbergtunnel zwei Tunnelbauwerke; quasi als „westliches und östliches Einfahrtstor“ ins Eichsfeld.


Die BAB 38 stellt südlich des Harzes die O-W-Verbindung zwischen den Haupt-Nord-Süd-Verkehrsachsen der BAB 7 und BAB 9 dar, die die Ballungsräume Halle/Leipzig und Göttingen/Kassel verbindet. In ihrer Fortsetzung über die BAB 7/BAB 44 bildet die BAB 38 zudem eine direkte Verknüpfung des bedeutenden ostdeutschen Wirtschaftsraums Halle/Leipzig/Dresden mit dem Ruhrgebiet; im europäischen Maßstab eine Ost-West-Magistrale zwischen den Staaten Osteuropas (Polen, Tschechien, Slowakei etc.) und den Benelux-Ländern. Hierdurch ist das Eichsfeld seit Anfang des 21. Jahrhunderts in hervorragender Weise an das deutsche bzw. europäische Straßennetz und die entsprechenden Wirtschaftsräume angebunden. Bedingt durch die Wiedervereinigung Deutschlands und Realisierung der BAB 38 wurde das Eichsfeld aus seiner peripheren Lage herausgelöst.

Aufgrund ihrer großräumigen verkehrsinfrastrukturellen Bedeutung hat sie als Hauptverkehrsader auch für den hiesigen Raum ein immenses sozioökonomisches Potenzial. Im Kontext mit der BAB 7 und BAB 44 gewährleistet die BAB 38 vom Eichsfeld aus eine gute Erreichbarkeit der zentralen Orte in Deutschland und darüber hinaus.
Zudem ist die BAB 38 die zentrale Entwicklungsachse des Eichsfelds, die insbesondere an den Anschlussstellen zahlreiche Gewerbe- und Industrieansiedlungen begünstigt. Gewisse Parallelen zu der Entwicklung entlang der BAB 4 im Bereich der Thüringer Städtekette sind zu erkennen.

Daneben erfüllen Bundesstraßen eine wichtige Funktion für die überregionale und regionale Erschließung des Eichsfelds. Mit der B 27, der B 80 (zwischen Hohengandern und Heilbad Heiligenstadt bzw. Breitenworbis und Bleicherode), der B 247, der B 249 und der B 446 gibt es insgesamt fünf Bundesstraßen im Eichsfeld.

Eine besondere Bedeutung und zentrale Verbindungsfunktion im Eichsfeld hat die B 247, weil sie nahezu das gesamte Gebiet in nord-südlicher Richtung durchquert. In den letzten 15 Jahren haben im Zuge der B 247 Dingelstädt, Leinfelde, Breitenbach, Worbis und Wintzingerode notwendige Ortsumfahrungen (OU) erhalten. Nach dem RP Nordthüringen, dem RROP Göttingen und dem RROP Northeim sind weitere OU für Kallmerode, Ferna, Teistungen, Gerblingerode, Duderstadt, Mingerode, Obernfeld und Lindau erforderlich. Während die OU Kallmerode nach langen Jahren des Baurechts gegenwärtig in der Bauphase ist, befinden sich die übrigen OU-Vorhaben der B 247 noch in der Entwurfs-, Planungs- bzw. Genehmigungsphase. Demgegenüber haben nach Fertigstellung der OU Westerode alle Eichsfelddörfer im Verlauf der B 446 (Seeburg, Seulingen, Esplingerode) in den letzten 30 Jahren eine OU erhalten.
Ein Indiz für die Verbesserung der Straßeninfrastruktur ist u. a. die Pkw-Dichte. Diese liegt im Landkreis Eichsfeld mit 583 Pkw je 1000 Einwohner über dem Thüringer Durchschnitt von 540. Vor allem an den Landesgrenzen zu Hessen und Niedersachsen (Berufspendler) haben viele Orte eine höhere Pkw-Dichte. (tlug-jena)

Infolge der zunehmenden Individualisierung des Verkehrs bzw. der autoaffinen Mobilitätsentwicklung wurden Schienenstrecken zunehmend unrentabel und spätestens nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 erheblich ausgedünnt.

Gleichwohl wurden die verbliebenen Schienenstrecken im Eichsfeld qualitativ aufgewertet. In diesem Zusammenhang sind der Ausbau und die Elektrifizierung der Bahnstrecke Halle-Kassel, die Sanierung der Bahnstrecke Leinefelde-Gotha-Erfurt/Eisenach sowie der Bau der sogenannten „Eichenberger Kurve“ zu nennen.
Allein durch diese Investitionen in die Schienenverkehrsinfrastruktur konnte die Fahrzeit zwischen den Oberzentren Göttingen und Erfurt um mehr als 45 Minuten verkürzt werden. Davon profitiert auch das Eichsfeld nicht unwesentlich. So ist Göttingen nunmehr – beispielsweise von Leinefelde – in 33 Minuten und die Landeshauptstadt Erfurt in 63 Minuten erreichbar. Diese positive Entwicklung schlägt sich auch in der Steigerung der Reisendenzahlen mit der Bahn zwischen Leinefelde und Erfurt nieder, die sich zwischen 2006 und 2014 um 23 Prozent erhöht haben.(33) Zudem hat das thüringische Eichsfeld mit der „Eichenberger Kurve“, die 1998 fertig gestellt wurde, auch schienenmäßig eine sehr gute Anbindung an das nächstgelegene Oberzentrum Göttingen, den dortigen ICE-Halt und damit an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz erhalten.
Zudem ist im gegenwärtigen Bundesverkehrswegeplan die Elektrifizierung der Bahnstrecke Leinefelde – Gotha festgelegt, wodurch nach Realisierung eine weitere qualitative Aufwertung bzw. Verbesserung der Relation Göttingen – Ostthüringen über Heilbad Heiligenstadt, Leinefelde, Mühlhausen, Gotha, Erfurt (mit dem ICE-Kreuz!) sowie Weimar und Jena eintreten wird.
(Autor: Gerold Wucherpfennig)
(Titelbild: Letzte Sonderfahrt einer Dampflok zwischen Duderstadt und Wulften 1989, Sammlung Pfeiffer)
Fußnoten:
(1)Vgl. Wiegand, Günther: Eichsfeldische Bibliographie. Duderstadt 2015, S. 693-714.
(2)Herbst, Albert: Die alten Heer- und Handelsstraßen Südhannovers und angrenzender Gebiete. Dissertation an der Universität Göttingen. Göttingen 1926, S. 5.
(3)Wucherpfennig, Gerold: Infrastruktur. In: Das Eichsfeld. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme, Landschaften in Deutschland, Band 79. Wien/Köln/Weimar 2018, S. 113.
(4)Vgl. Stehen, Robert C.: Nonubiquitons transportation urban population density gradiens. Journal of Urban Economics 20. 1986, S. 97-106.
(5)Vgl. Zierer, Marcus: Wechselwirkungen zwischen Verkehrsinfrastruktur und Wirtschaftswachstum – Eine theoretische Untersuchung und empirische Analyse für Deutschland. Dissertation an der Universität Regensburg. Regensburg 2015, S. 92-100.
(6)Vgl. Wucherpfennig, Gerold: Das Eichsfeld. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme, Landschaften in Deutschland, Band 79. Wien/Köln/Weimar 2018, S. 90.
(7)Vgl., ebd., S. 113.
(8)Vgl. ebd., S. ………….
(9)Vgl. Holm, Hans J.J.G.: The Earliest Wheel Finds, Their Archeology and Indo-European Terminology in Time and Space and Early Migrations around the Caucasus (Archaeolingua Minor, Band 43). Budapest 2019, S. 5-12.
(10)Vgl. Niggemann, Marc: Geschichte des Straßenbaus. Wiesbaden 2012, S. 6-9.
(11)Vgl. https://www.alionensis.de/DE/2%20Verkehrswege.html (Zugriff am 16.10.2020, 20:29).
(12)Vgl. ebd.
(13)Vgl. Niggemann, Marc: Geschichte des Straßenbaus. Wiesbaden 2012, S. 2-5.
(14)Vgl. Hartmann, Jürgen: Mobilität in früheren Zeiten. Vortrag der Historischen Gesellschaft zu Nienburg/W., gehalten am 17.03.2015 im Vestibül des Rathauses Nienburgs.
(15)Kühlhorn, Erhard: Historisch-landeskundliche Expansionskarte von Niedersachsen, Blatt Osterode. Hildesheim 1970, S. 15-18.
(16)Herbst, Albert: Die alten Heer- und Handelsstraßen Südhannovers und angrenzender Gebiete. Göttingen 1926, S. 1.
(17)Wucherpfennig, Gerold und Lena Wucherpfennig: Duderstadt und der mittelalterliche Handel. In: Eichsfelder Heimatzeitschrift 51. Duderstadt 2007, S. 172-175.
(18)Vgl. Denecke, Dietrich: Straßen – Fernstraßen, Heerstraßen, Altstraßen. In: Duderstadt und das Untereichsfeld. Duderstadt 1996, S. 292-295.
(19)Vgl. Krüsemann, Markus: Struktur und Entwicklung der regionalen Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. In: Das Eichsfeld – Ein deutscher Grenzraum. Duderstadt 2002, S. 82.
(20)Vgl. Müller, Uwe: Der preußische Kreischausseebau zwischen kommunaler Selbstverwaltung und staatlicher Regulierung 1830-1880. Berlin 1999, S. 12.
(21)Vgl. Krüsemann, Markus: Struktur und Entwicklung der regionalen Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. In: Das Eichsfeld – Ein deutscher Grenzraum. Duderstadt 2002, S. 83.
(22)Vgl. Krüsemann, Markus: Struktur und Entwicklung der regionalen Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. In: Das Eichsfeld – Ein deutscher Grenzraum. Duderstadt 2002, S. 83.
(23)Vgl. Wucherpfennig, Gerold: Infrastruktur. In: Das Eichsfeld. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme, Landschaften in Deutschland, Band 79. Wien/Köln/Weimar 2018, S. 118
(24)Vgl. ebd.
(25)Vgl. Lauerwald, Paul: Die Eisenbahn im Eichsfeld – Eichsfelder Eisenbahngeschichte bis zur Gegenwart. Duderstadt 1994, S. 12-31.
(26)Vgl. Fromm, Günter: Thüringereisenbahnlexikon 1846-1992. Bad Langensalza 1996, S. 108-135.
(27)Vgl. Pfeiffer, Herbert: Eisenbahn. In: Duderstadt und das Untereichsfeld. Duderstadt 1996, S. 103-105.
(28)Vgl. ebd. S. 115.
(29)Vgl. Wucherpfennig, Gerold: Infrastruktur. In: Das Eichsfeld. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme, Landschaften in Deutschland, Band 79. Wien/Köln/Weimar 2018, S. 132 und 133.
(30)Vgl. ebd., S. 117.
(31)Vgl. Wucherpfennig, Gerold: Infrastruktur. In: Das Eichsfeld. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme, Landschaften in Deutschland, Band 79. Wien/Köln/Weimar 2018, S. 118.
(33)Vgl. Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft: 4. Nahverkehrsplan für den Schienenpersonennahverkehr im Freistaat Thüringen 2013-2017. Erfurt 2014, S. 28-34.
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